Kapitel 9                                                                                                     Leod

Leod stolperte weiter durch den unwegsamen Wald. Das Knacken hinter ihm hatte aufgehört. Vielleicht war es nur ein neugieriges Tier. Ab und zu blieb er stehen, um sich zu orientieren. War er hier noch richtig? Er wäre wohl besser auf dem neu angelegten Weg der Menschen gegangen, doch er wollte niemandem begegnen. Der Kristall, den er in die Hosentasche gesteckt hatte, wurde auch immer schwerer. Feen, Elfen und dann auch noch Hille. Diese dummen Feen nervten ihn am meisten. Er musste grinsen. Sie hatten noch nicht einmal gemerkt, dass er bei seinem abendlichen Besuch beobachtet  hatte, wie zwei von ihnen die große Truhe aus ihrem Versteck geholt und geöffnet hatten. Am Morgen, als alle schliefen, war er hingeschlichen und hatte ein paar silberne Haare gestohlen. Er hatte sie den Kobolden gebracht, als Beweis für seinen Mut. Karlchen hatte sich gleich einen Gürtel für sein Hemd daraus geflochten. Sie hatten alle noch einen sehr lustigen Abend, in dessen Verlauf sie beschlossen, Hille einen Denkzettel zu verpassen.  Da knackte es schon wieder im Unterholz. Leod schreckte aus seinen Gedanken auf und drehte sich um. Doch da war nichts zu sehen. Er mochte zwar Elfen, Feen und Einhörner nicht besonders, aber er war ein Freund der Wildtiere und der anderen Waldbewohner. Als Waldmensch gehörte er fast genauso sehr zu ihnen wie zu den Menschen. Sie würden ihm niemals etwas antun. Auch die Bäume und Pflanzen mochte er. Er pflegte sie und unterhielt sich mit ihnen. Darin war er Hille sehr ähnlich. Insgeheim verehrte er sie deswegen sogar. Hille konnte aus den Pflanzen eine Heilsalbe herstellen, die sie verwundeten Waldtieren auf ihre Verletzungen gab. Die Tiere waren danach schnell geheilt und hatten keine Schmerzen mehr. Vielleicht konnte er das auch mit der Hilfe des Zaubersteins? Er nahm den großen Kristall aus seiner Hosentasche in die Hand. Sofort verfärbte er sich wieder und fing an  dunkelrot zu glühen.

„Was willst Du von mir“? Der Stein hörte auf zu glühen und wurde tiefblau. Dann konnte Leod ein Bild sehen. Eine Hochmoorfläche mit einem kreisrunden See, der wie ein Auge aussah. Der Stein wechselte wieder die Farbe und das Bild verschwand. Dann sah Leod eine schwarze Schlange, die sich aufrichtete und ihn ansah. Vor Schreck ließ Leod den Stein fallen. Er zitterte am ganzen Körper. Schnell steckte er den Stein wieder in die Hosentasche. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dieser Stein war unheimlich und machte ihm Angst. Diese schreckliche schwarze Schlange hatte er noch nie gesehen. Ob sie auch hier im Wald lebte? Oder war es ein Trugbild? Auch diesen See, der wie ein großes blaues Auge aussah, hatte er noch nie zuvor gesehen. Wer weiß, welche Geheimnisse der tiefe, dunkle Wald barg. Er war ja noch nie so weit in den Alten Wald vorgedrungen. Doch viele schaurige Geschichten, die man sich über ihn erzählte, fielen ihm ein. Ein greller Blitz und ein entfernter Donner rissen ihn aus seinen Gedanken. Der Himmel war fast schwarz und die Halme des Adlerfarns bogen sich im aufkommenden Sturm. Hinter ihm raschelte es im dichten Dickicht des Farns.